[a work in progress]
Das Thema des Projekts stieß besonders bei TV- und Filmkomponisten auf großes Interesse. In mehreren Befragungen gaben sowohl junge Berufseinsteiger als auch etablierte Komponisten bis hin zu Emmy Award Gewinnern oder Nominierten Einblicke in ihre aktuellen Arbeitsweisen mit virtuellen Instrumenten und DAWs. Einige TV- und Filmkomponisten standen für weitere Fragen zur Verfügung. Klassische zeitgenössische Komponisten waren in geringerer Zahl vertreten.
Weitere Ergebnisse stammen aus Umfragen und Interviews mit Dozenten und Tutoren im Bereich FilmScoring (Ausbildungsstätten für Filmmusik, kommerziell geführte Fortbildungseinrichtungen, einzelne spezialisierte Tutoren).
Zuletzt gab es Umfragen bzw. Interviews mit Entwicklern von DAWs, Notationsprogrammen, Softwareinstrumenten und weiteren Tools. Auch hier gab es großes Interesse an der Thematik; allerdings standen wegen Terminverpflichtungen, internationalen Messen etc. leider nicht immer die favorisierten Gesprächspartner zur Verfügung.
Die Auswertung der Ergebnisse orientiert sich am Workflow innerhalb der Filmmusikproduktion. Es gibt keinen festgelegten Standard. Je nach Produktionstyp haben sich bestimmte Abläufe. Drei Aspekte tauchen fast immer auf: Das Sammeln von Ideen, das Aufbereiten von Vorschlägen zur Abstimmung mit dem Regisseur (Mockups), die eigentliche Produktionsphase nach Festlegung der Cues. Ein mögliches Szenario wird von den Autoren James Bellamy, Paul Thomson und Christian Henson beschrieben. James Bellamy, Paul Thomson und Christian Henson
Virtuelle Instrumente werden vor allem von Komponisten für Fernseh-, Film- und Game-Music eingesetzt. Mit relativ geringem technischen Aufwand ist es heute möglich, Musik, Klänge oder Geräusche zum bewegten Bild zu erzeugen. Die oft schon recht realistisch klingenden Ergebnisse können dann zeitnah als Mock-up einem Regisseur oder Produzenten präsentiert und je nach Budget im Studio oder von den Komponisten selbst produziert werden. Der Einsatz von Softwareinstrumenten in Verbindung mit DAWs (Digital Audio Workstations) kann helfen, Zeit zu sparen und das Budget zu schonen. Nahezu alle befragten Komponisten gaben an, wie knapp die zur Verfügung stehende Zeit in der Regel ist und wie gut die Produktionstools aufeinander abgestimmt sein müssen.
Stilistik und musikalisches Material wurden in diesem Projekt nicht bewertet.
Einige Teilnehmer legten Wert auf Anonymität. Zitate mit Namensnennung wurden von den betreffenden Personen genehmigt.
Die Informationen auf diesen Internetseiten setzen Grundkenntnisse in folgenden Bereichen voraus: Filmmusikproduktion, Kompositions- und Arrangementtechniken, Akustik, Instrumentation bzw. Orchestration, Studio- und Aufnahmetechnik.
Wer Musik, Klang oder Geräusche für Lautsprecher produziert, muss mit dem Phänomen der Schallerzeugung vertraut sein. Akustik, Studio- und Aufnahmetechnik werden in der Regel im Rahmen der Ausbildung an Filmmusikhochschulen oder vergleichbaren Institutionen angeboten. Darüber hinaus gibt es auf dem freien Markt professionelle Weiterbildungsangebote in diesen Bereichen. Self-made-Komponisten sollten auf jeden Fall die Finger von der Trial-and-Error-Methode lassen - die Defizite hört man!
„Da werden hochwertigste Mikrofone von Schoeps, Neumann usw. verwendet, ideale Aufnahmeverhältnisse geschaffen und manche Produktionen tönen damit, als hätte man sie mit einem schlechten MIDI-Modul aus den 80er Jahren produziert.“ [Tutor & Studioleiter]
Filmmusik ist nur ein Bestandteil des Filmtons: Weitere Elemente, die die Filmmusik überlagern, sind Hintergrundgeräusche, Soundeffekte und Sprache. Es sind nicht die Filmkomponisten, die über den endgültigen Klang entscheiden. Nicht selten legen Regisseure in einer späten Phase der Fertigstellung noch einmal Hand an: ein Prozess mit vielen Beteiligten und Variablen, um es vorsichtig auszudrücken.
Komponisten lassen sich nur ungern auf eine bestimmte Reihenfolge im Schaffensprozess festlegen.
Vorbemerkung:
Die Umfragen ergaben, dass TV- und Filmkomponisten auch in dieser Phase der Filmmusikproduktion DAWs bevorzugen. Verschiedene Hersteller arbeiten an der verbesserten Integration von Notationsprogrammen in digitale Audioworkstations, da viele Musikschaffende nicht auf ein möglichst perfektes Notenbild verzichten wollen. Notationseditoren in DAWs werden von den befragten TV- und Filmkomponisten aber nicht favorisiert. Wer Partituren und Stimmenmaterial benötigt, greift zum favorisierten Notationsprogramm, auch wenn er die doppelte Arbeit hat. Der Import von Partituren aus Notationsprogrammen über MIDI oder XML in DAWs ist möglich, erfordert aber Nacharbeit. Außerdem ist das Material für die weitere Produktion höchstens ein Anfang. Künftig soll es möglich sein, ganze Templates inklusive virtuelle Instrumente in DAWs zu importieren. Hersteller verwiesen in Interviews darauf, dass ihre Produkte (DAW und Notationssoftware) nicht nur für TV- und Filmkomponisten entwickelt werden. Der Kreis der Anwender ist erheblich größer und die Wünsche in den Foren sind immens.
Einsteiger Bibliotheken: "Ein ganzes Orchester"
Preis: unter 100 EUR
Für eine Demo kann dies ausreichend sein. Manche
Komponisten bevorzugen solche Produkte sogar für die ersten Phasen der
Produktion.
Spezielle Pakete bis komplette Orchesterbibliotheken
Preise: ca. 200 EUR ...
Hersteller bieten Produkte für unterschiedliche Anwendungsbereiche an.
Ausgewachsene Orchesterbibliotheken
Preis: zum Teil über 10.000 EUR
Millionen von Samples mit allen erdenklichen Artikulation.
Die Sounds der High-Level Filmkomponisten
nicht auf dem freien Markt erhältlich
Top-Filmcomposer
schließen sich zu Konsortien zusammen und lassen eigene Bibliotheken
entwickeln. Der Vorteil für die Komponisten: ihre Sounds bekommt man nur in
ihren Produktionen zu hören.
Hinweis: Hier geht es zunächst um die reinen Samples, wie sie von den Herstellern angeboten werden. Auf dem Markt gibt es eine breite Palette von Sound Libraries mit ganz unterschiedlichen Intentionen: vom schlichten Einzelinstrument über möglichst handliche Pakete mit den gängigsten Artikulationen bis hin zu Bibliotheken mit typischem Hollywoodsound oder auf Scoring Stages natürlich aufgenommenen Orchesterinstrumenten, von Paketen mit außergewöhnlichen Spielweisen bis hin zu möglichst perfekt aufgenommenen Sounds. Die Befragungen ergaben, dass die Auswahl einzelner Instrumente oder ganzer Libraries vom persönlichen Geschmack des Komponisten oder von der Auftragslage mit dem Regisseur abhängt. Und über Geschmack lässt sich streiten!
Hummie Mann
Emmy-award winning composer, arranger and sought-after educator, 2017
Mehr als die Hälfte der Befragten suchen zunächst in den ihnen zur Verfügung stehenden Klangbibliotheken nach geeigneten Klängen für eine bestimmte Situation. So werden gerne fertige Melodielinien mit verschiedenen Klängen „durchprobiert“, anstatt umgekehrt eine Melodielinie für ein speziell ausgewähltes Instrument zu entwerfen. Von Lehrenden aus dem Bereich des Filmscoring wird dies gelegentlich als „Mangel an Vorstellungskraft“ bezeichnet. Es gibt auch Gegenargumente, dass man gerade beim Stöbern unerwartet auf die idealen Klänge stoßen kann. Letztlich hängt es auch davon ab, welche Bibliotheken einem Komponisten zur Verfügung stehen und wie viel Zeit er für die Suche einplant.
Auf Videoportalen wie YouTube oder Vimeo findet man eine Vielzahl von Tutorials zu den unterschiedlichsten Arbeitsprozessen bei der Musikproduktion; darunter sind viele hilfreiche Beiträge von Usern, aber auch Videos von „selbsternannten“ Spezialisten. Der Informationsgehalt schwankt dabei stark! (Große) Hersteller bieten eigene Channels mit Produktvideos, aber auch Anleitungen für bestimmte Szenarien. Trotz Suchfunktion dauert es oft einige Zeit, brauchbares Material zu finden. Darüber hinaus bieten Lernplattformen für FilmScoring, wie z.B. ThinkSpaceEducation, neben ihren kostenpflichtigen Angeboten auch eine Vielzahl von Videos, Tutorials und Interviews an. Darüber hinaus gibt es E-Learning-Anbieter wie z.B. Lynda, die mehrstündige Kurse zur Arbeit mit bestimmten Produkten oder zu übergeordneten Themen wie „Editing and Mixing“ anbieten. Diese Angebote sind an vielen Hochschulen kostenfrei. Ansonsten kann man sich über einen „free trial“ Zugang über das Angebot informieren.
Keyswitches dienen dem Wechsel zwischen Artikulationen. Nicht alle Befragten bevorzugten die gleichzeitige Eingabe der Keyswitches beim Einspielen der Musik. Dafür wurden unterschiedliche Gründe genannt, die z.B. auch mit dem Umfang des Eingabegerätes oder der Position und Verteilung der Keyswitches zusammenhingen. Häufig wurde auch bemängelt, dass die Tastenbelegung sehr unterschiedlich sei, manchmal sogar innerhalb der gleichen Library. Einige Befragte wünschten sich eine flexiblere Tastaturbelegung. Wenn mit Keyswitches gearbeitet wurde, wurde die nachträgliche Eingabe per Tastatur oder Maus von den jeweiligen Befragten bevorzugt.
aus Sicht von Komponisten und Kursleitern und Herstellern
Die Hersteller virtueller Instrumente konzentrieren sich
hauptsächlich auf die Weiterentwicklung und Perfektionierung der Libraries, zu groß ist der Konkurrenzdruck auf dem Markt. Dem Anwender
bleibt nichts anderes übrig, als sich in die Feinheiten der jeweiligen Player
einzuarbeiten, um z.B. Automatisierungsprozesse mit der eigenen DAW zu
generieren. Seit einigen Jahren suchen Software-Entwickler nach Möglichkeiten,
die Zusammenarbeit zwischen DAW und Soundlibrary weiter zu vereinfachen.
2021 brachte Presonus eine Schnittstelle für Studio One auf den
Markt, die erkennt, welche Artikulationen das aktuell geladene Preset in einem
Plug-in für virtuelle Instrumente unterstützt. Diese Sound Variation API wurde
Plug-in- und Host-Entwicklern zur Verfügung gestellt. Ob sie sich als Standard
durchsetzen wird, wird die Zukunft zeigen.
Mittlerweile arbeiten der Synchron Player der Vienna Sound Library
und Studio
One intuitiv zusammen. Mit Hilfe der
Studio One Toolbox
können auch Cubase Expression Maps oder Cakewalk Instrument Definitions in SoundVariations für Studio One umgewandelt werden.
Noch mehr Arbeit hat sich Babylonwaves gemacht.
Mit ihrem Art Conductor ... ist die
umfangreichste Sammlung von Artikulationssets auf dem Markt. Sie besteht aus
über 10.000 Templates für alle wichtigen Libraries wie Spitfire, Vienna
Symphonic Library, Eastwest, Orchestral Tools, 8dio und Cinematic Instruments.
Diese Sets sind DAW-übergreifend für Logic, Cubase, Studio One, Digital
Performer und Cakewalk verfügbar (Stand 2023). Das Umschalten zwischen
verschiedenen Artikulationen wird zunehmend praktikabler - auf die Reservierung
einzelner Spuren pro Artikulation könnte verzichtet werden, was der
Übersichtlichkeit innerhalb der DAW zugute käme.
Noteperformer von Wallander Instruments lieferte bis zur Version
3.x zusätzlich zu den programmeigenen Sounds der Notationsprogramme Sibelius,
Finale und Dorico alternative Sound Libraries, die den wichtigsten
programminternen Artikulationen entsprachen (z.B. pizz., col legno, glissando etc.).
Ab Version 4 ist es außerdem möglich, VST3-Plugins bestimmter
Hersteller direkt in eines der drei Notationsprogramme zu laden – ohne Sound
Sets, Expression Maps oder Human Playback Rules. Dazu gehören ausgewählte
Editionen von Spitfire Audio, Orchestral Tools, CineSamples, Cinematic Studio
Series, EastWest, Steinberg, Audio Imperia oder der Vienna Symphonic Library.
Die
Hersteller von Sound Libraries investieren viel Geld in die Produktion ihrer
Samples. Sie stellen den Musikschaffenden ein Ausgangsmaterial zur Verfügung,
das in seiner ursprünglichen Form, aber auch in modifizierter Form durch den
Einsatz entsprechender Player verwendet werden kann. Abhängig von der
Architektur des Players bzw. von weiteren aufgesetzten Tools kann das Verhalten
der Klänge über MIDI-Controller beeinflusst werden - „im Extremfall bis zur
Unkenntlichkeit“.
Ein
Studiobetreiber schrieb, dass die Verwendung virtueller Instrumente an sich
keine Gefahr darstelle. Die Gefahr besteht darin, dass oft geglaubt wird, der
bloße Einsatz virtueller Instrumente könne musikalisches Können, Wissen und
Einfühlungsvermögen ersetzen. Das ist
nicht der Fall!
Auch
aus dem Studiobereich wurde bemängelt, dass leider viel zu oft ohne wirkliches
technisches Wissen an den aufwendig produzierten Klängen herumgebastelt wird.
Die Schwierigkeit bei der Produktion liegt im allgemeinen Klangverhalten der Instrumente:
Je kürzer die Klanginformation ist, desto realistischer ist in der Regel das Ergebnis. Bei langen Klängen oder Klangflächen ist das jedoch anders: Gründe dafür sind z.B. variables Dynamikverhalten, feine Veränderungen im Vibrato etc. Hier kommen die Vorteile der DAWs zum Tragen. Je langsamer und fluktuierender die Musik ist und je exponierter z.B. Streicher besonders im Solobereich sind, desto größer ist der Aufwand bei der Produktion.
"Wer mit Samples möglichst nahe der Realität Musik machen will, für den sind Kenntnisse über die eingesetzten Musikinstrumente unumgänglich. Meine Empfehlung ist jeweils, mindestens je eine Lektion bei einem Streicher, einem Holzbläser und einem Blechbläser zu besuchen. Dort sollte der Profi die wichtigsten Artikulationen spielen und über die Schwierigkeiten sprechen. So lernt man wenigstens, dass eine richtige Violine kein gelooptes [Material] spielen kann [oder] dass das Blasinstrument kein unendliches Legato spielen kann, ohne mal zu atmen." [Studioleiter]
Nicht ohne Grund bieten Sample-Hersteller gerne Demos mit eindrucksvoller Musik an, z.B. zu Action-, Drama- oder Fantasy-Szenen. Gerne werden solche (oft aufwändig produzierten) Demos als Basis für eigene Projekte verwendet - was zunächst nicht verwerflich ist. Allerdings fällt auf, dass bestimmte Instrumentierungen in leichten Variationen immer wieder zu hören sind. Nicht ganz unschuldig an diesen Stereotypen sind auch die Pakete mit fertigen Sequenzen für Streicher, Bläser oder Schlagzeug, die jede Kreativität bremsen und deren Möglichkeiten sich schnell erschöpfen. Zum Lernen oder für Anfänger sind diese Produkte hilfreich - für Profis eher nicht.
Wenn
man es beherrscht, darf man es natürlich auch. Denn erst dadurch wird der Klang
individuell. Kein Komponist muss sich rechtfertigen, wenn er über seine
Streichersamples synthetische Klänge legt.
Aber
wenn man versucht, den Klang eines klassischen Sinfonieorchesters zu imitieren,
ist es sicher sinnvoll, sich an dessen Klangästhetik zu orientieren.
Und
der Fachmann wird vielleicht schmunzeln, wenn im Fortissimo-Tutti plötzlich
Streicherflageoletts die gleiche Intensität haben wie Trompeten - das geht eben
nur im virtuellen Orchester.